. Yunus Emre, der türkischsprachige Mystiker im 13. Jh., beschreibt diese Beziehung in einem seiner berühmten Gedichte.
Wir lieben das Geschaffene
Ja um des Schöpfers willen !
Yaradılanı severiz,
Yaradandan ötürü.
(Yunus Emre)
Unser Name ist Bescheidenheit
Unser Feind ist der Hass
Wir hassen niemanden
Die ganze Welt ist für uns eins.
Yunus Emre
Der meist geehrte alevitische Wegweiser, Pir Sultan Abdal, formulierte im 16. Jhd. in einem seiner Gedichte Aleviısche Glauben wie folgt:
Jeden Morgen, jeden Abend Freudenfeste
Die Berge rufen Muhammed AU
Die Nachtigall beginnt ein Lied für die Rose
Weint und verlangt nach Muhammed Ali
Den Vögeln im Himmel ward der Weg gezeigt
Siehst du nicht die Tränen, die meine Augen netzen
Die Wasser springen von Stein zu Stein
Und verlangen nach Muhammed AU
Ich bin Pir Sultan Abdal, verspüre große Liebe
Undfohlt man große Liebe, entzündet sich ein Licht
Und Hasans und Hüseyins Wiege wiegt
Und verlangt nach Muhammed Ali
Nach alevitisch-bektaschitischer Auffassung erreicht Gott nur im vollkommenen Menschen den höchsten Punkts seines eigenen Bewusstseins. Aleviten und Bektaschiten verbinden die Lehre der Manifestation des Göttlichen im Menschen mit Ibn-al Arabi (9. Jhd.) dem das Konzept "Einheit des
Seienden" (vahdet-i vücut) zugeschriebenen wird. Bei den Aleviten und Bektaschiten wird als eine Metapher für die Seele das Menschenherz als Wohnstätte Gottes "Tann Evi" benutzt. Muhammed und Ali bilden in erster Linie diese Widerspiegelung. Aleviten glauben an eine Identität und eine geistige Gleichartigkeit von Gott, Muhammed und Ali und benutzen den Spruch "allahmuhammed-Ali". Für die Aleviten ist die heilige Kraft eine Gabe Gottes als Verstand (akil), damit sie Gott und dessen Willen erkennen können.
Ich bin das Äußere und das Innere
Das Vergangene und die Zukunft
Ich bin das Er und das Er ist das Ich.
Ich bin das Erhabene.
Yunus Emre
Hem batiniyim, hem zahiriyim
Hem evvelim hem ahirim
Hem ben oyum hem 0 benim
Hem 0kerim-i han benim.
(Übersetzung: Ismail Kaplan)
Alevitentum aus der Sicht der Deutschen
Beatrice Hendrich, Üniversität Gressen
Erstens: Ich halte es für eine gute Idee, Außenstehende in Alevilerin Sesi zu Wort kommen zu lassen. Es dokumentiert das Bestreben der alevitischen Gemeinde, bei aller Suche nach der eigenen Identität den Rest der Welt nicht zu vergessen.
Diese Offenheit ist wohltuend in einer Zeit, da viele Menschen und Gruppen glauben, auf diesen Rest der Welt verzichten zu können.
Zweitens: Was aber soll ich, als nicht-Alevitin, in einer Zeitschrift, die immerhin das Presse-Organ einer Glaubensgemeinschaft darstellt, schreiben? Wie weit darf oder soll ich mich einmischen? Glaubensfragen
wohl kaum, doch zu einem anderen Bereich kann ich aus eigener Erfahrung etwas beitragen: Wie kann (und muß?) Glauben in Deutschland organisiert werden? Ich selbst bin evangelisch. Bei der Betrachtung des
Alevitenturns finde ich immer wieder Bestandteile, die ich leicht verstehen kann, da sie im evangelischen Glauben eine sehr ähnliche Form haben.
Da sind z. B. die direkte Beziehung zwischen Gott und dem Mensch
und die Nicht-Existenz eines absoluten menschlichen Oberhauptes wie dem Papst oder eines letztgültigen Dogmas. Diese Dinge, die mir persönlich gefallen, führen zu einem riesigen Problem in der Organisation
einer Glaubensgemeinschaft: Wessen Regeln, wesse Glaubensgrundsätze, wessen Erklärungen können innerhalb dieser Glaubensgemeinschaft als wahr betrachtet werden, wer könnte ein Oberhaupt oder ein Vorsitzender sein?
Welche Aufgaben un Vollmachten würde diese Person, oder Gruppe, haben, und wie würde man sie auswählen? Auf bestimmte Regeln muß man sich in einer Gemeinschaft ja einigen,und zwar sowohl auf solche der allgemeinen Organisation, als auch, in diesem speziellen Falle, auf Grundlinien des Glaubens.In der Geschichte des Protestantismus hat dieses Dilemma dazu geführt, daß eine Unzahl von eigenständigen Kirchen entstanden sind, die sich alle evangelisch nennen, die sich manchmal grundsätzlich, manchmal auch nur minimal sich von einander unterscheiden, nicht selten aber in heftiger Feindschaft zueinanderstehen.
In Deutschland hat man eine Lösung gefunden, die nicht alle Probleme, aber doch einen großen Teillöst: 1948 gründete sich die Evangelische Kirche in Deutschland, die heute aus 24 Landeskirchen und einer angegliederten Kirche besteht. Die Landeskirchen
unterscheiden sich z. B. in Ritus oder Liedgut (wenn ich als Mittelhessin an einem Gottesdienst in Nordhessen teilnehme, dann weiß ich nicht immer, wann ich aufstehen soll oder "Amen" sagen), aber kein Lied und
kein Gebet der einen Kirche wird als geringer betrachtet als das einer anderen. Die Landeskirchen wählen ihren deutschlandweiten "Vorstand", Rat und Synode, und können durch diese Gremien sich als Einheit nach
außen darstellen und Beschlüsse von überregionaler Bedeutung fassen.Es gibt ein Motto der Europäischen Union, das mirsehr gut gefällt: Einheit in Vielfalt. Meiner Meinung haben wir in Deutschland und in Europa keine andere Chance als zu akzeptieren, daß verschiedene Menschen verschiedene Ansichten haben. Wir müssen mit dieser Verschiedenheit produktiv umgehen und nicht im (Klein )krieg unsere Kräfte verschleudern. Das gilt. für alle Bereiche des Lebens. In diesem Sinne wünsche ich allen alevitischen Gemeinden in Deutschland und
dem AABF für die Zukunft viel Ausdauer und Erfolg; Erfolg, der aus dem Glauben, der im Inneren ruht, und der Liebe zu Gott und den Menschen resultieren kann.
Was ist das Alevitentum?
In der Türkei leben über 23 Mio. Menschen türkischer, turkmenischer,
kurdischer und arabischer Herkunft, die sich als Aleviten bezeichnen. In
Deutschland schätzt man deren Zahl auf ca. 700.000. Da die Aleviten in
Anatolien der vorislamischen Kultur weitgehend verbunden blieben und die geschichtliche sowie religiöse Entwicklung ihres Landes maßgeblich
beeinflussten, unterscheiden sie sich sowohl von orthodox-islarnlschen
Sunniten als auch von iranischen Schiiten. Auffallend ist vor allem die
grundsätzliche Ablehnung von Gewalt, und die Gleichstellung von Frauen und Männern in ihren Gemeinden.
Das Alevitentum ist ein als lebensphilosophisch anzusehendes
Glaubenssystem, wonach die Grundwerte nach Gerechtigkeit, Menschenliebe, Toleranz und Religions- wie Meinungsfreiheit eine zentrale Rolle spielen. Dies kommt insbesondere in der Definition einer
Person als Alevitjin zum Ausdruck, die in seinem Herzen die Menschenliebe beherbergt, jede Reliqlon, Konfession und Glaubensrichtung achtet und toleriert keine diskriminierenden
Unterschiede wegen Sprache, Reliqion Rasse und Hautfarbe macht,
- sehr großen Wert auf das Wissen wie die Wissenschaft legt, Gott und Menschen als eine Einheit ansieht.
Aleviten glauben an eine heilige Kraft des Schöpfers, die an die Menschen vor allem durch Mohammed und
All, sowie durch ihre Nachkommen bis heute übertragen wird. Die heilige Kraft hat danach jeder Mensch, sei er Alevit oder Christ, Frau oder Mann. Nach diesem Glauben ist der Mensch das
vollkommenste und schönste Lebewesen im Universum. Der Mensch und andere geschaffene Wesen werden als Wiederspiegelung der Geheimnisse und Gesichter Gottes auf Erden
betrachtet.
Aleviten haben ein Bild von der Freiheit des Menschen vor Gott und von einem Verhältnis des Menschen zu Gott, das nicht von einer bedingungslosen Unterordnung bestimmt wird,
sondern von der Hilfe und Fürsorge Gottes für den freien Menschen beim Bemühen Gott immer näher zu kommen.
Wenn der Mensch frei vor Gott ist, und die Aufgabe hat, sich zur Gottähnlichkeit zu entwickeln, dann sind alle Menschen gleichgestellt, weil sie alle die gleiche Aufgabe und das gleiche Ziel haben. Aleviten glauben daran, dass ohne innige Liebe zu Gott dieses Tel nicht zu erreichen ist. (Ausführliche Informationen und Materialien sind bei der Alevitischen Gemeinden Deutschland erhältlich.)